Der Vertriebenenbrunnen in Trier muss umgestaltet werden. Er wird seinem Namen nicht gerecht. Anstatt allein an die Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten vor und nach Ende des Zweiten Weltkrieges zu erinnern, soll aus ihm ein Mahnmal werden, das den Schicksalen von allen Opfern von Vertreibung und Flucht gedenkt. Gestern, heute und morgen. Der “Vertriebenen- und Flüchtlingsbrunnen” soll uns auch angesichts der aktuellen Situation fortan ein Weckruf und ein Aufruf zu mehr Menschlichkeit sein.
Mahnmale sollten nicht bloß historischen Ereignissen gedenken. Sie sollten ein eindringliches Zeichen dafür setzen, dass sich die schändlichen und tragischen Kapitel der Menschheitsgeschichte nicht wiederholen dürfen. Sie dürfen nicht einfach mit der Geschichte abschließen, sondern müssen uns Lehren für unser zukünftiges Handeln an die Hand geben. Aus dem längst Vergangenen müssen moralische und politische Folgerungen für das Seiende und das einst Kommende geschlossen werden. Ein Denkmal darf nicht allein der Vergangenheit gedenken. Es muss auch der Gegenwart und Zukunft gedenken.
Denn die Geschichte wiederholt sich ständig. Heute gibt es so viele Flüchtlinge wie seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr: Geschätzte 50 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht vor Krieg, politischer Verfolgung, Armut, Not oder Perspektivlosigkeit. Bei dem Versuch, nach Europa zu gelangen, finden jedes Jahr aufs Neue hunderte Schutzsuchende den Tod. Allein im vergangenen Jahr waren es mindestens 3.500 Tote. Die Europäische Union trägt mit ihrer unmenschlichen Abschottungspolitik eine Mitverantwortung an dieser humanitären Katastrophe. Wenn sie es bis nach Deutschland schaffen, sind die Geflüchteten nicht selten Ausgrenzungen und offenen Anfeindungen ausgesetzt. Sie kommen meist in unwürdigen Unterkünften unter, wo sie vom Rest der Gesellschaft isoliert werden.
Auch in Trier werden nun dauerhaft Asylsuchende untergebracht. Deshalb möchten wir uns für eine gelebte Willkommenskultur vor Ort einsetzen.
Zu diesem Zwecke soll der sogenannte Vertriebenenbrunnen vor dem Trierer Rathaus umbenannt und umgestaltet werden. Eine Änderung des umstrittenen Brunnens ist ohnehin längst überfällig. Denn das 1965 errichtete, inoffiziell auch als “Heimatbrunnen” bezeichnete Mahnmal erinnert nicht bloß an das Schicksal der knapp 10.000 Vertriebenen, die nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes als Flüchtlinge nach Trier kamen. Es solle zudem „den Glauben an die Wiedervereinigung aller Teile des getrennten Deutschland“ beleben und stärken, wie es im Ausschreibungstext zu seiner Errichtung hieß. Die Inschrift auf der Bronzetafel, die mit den Worten „Einigkeit und Recht und Freiheit. Breslau, Gleiwitz, Stettin, Königsberg, Eger, Marienburg“ ein Deutschland in den Grenzen von 1938 heraufbeschwört, ist ein hässlicher Schandfleck der Stadt Trier. Der Vertriebenenbrunnen wie er heute ist, ist geschichtsrevisionistisch und revanchistisch. Daher muss die Bronzetafel durch eine neue ersetzt werden, auf der der Schriftzug „Gewidmet den Opfern von Flucht und Vertreibung – gestern, heute und morgen. Hier und weltweit“ zu lesen sein wird.
Dieser den Opfern von Vertreibung und Flucht gewidmete Brunnen vor dem Rathaus gibt uns jeden Tag eine unbequeme Frage auf: Wie werden einst künftige Generationen über unsere Zeit urteilen? Will unsere Generation tatsächlich als Generation ignoranter Selbstbezogenheit und unterlassener Hilfeleistung in die Geschichtsbücher eingehen? Es liegt in unserer Hand: Wir können die Geschichtsbücher von morgen umschreiben und die Denkmäler von morgen gestalten.
Für die Evolutionären Humanisten Trier
Jannis Puhlmann & Florian Chefai